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Von Hochstaplern und Tiefstaplern

Gerade kam ein Anruf eines Geschäftsführers, er wolle an seinem Imposter Syndrom arbeiten. Ich zucke beim Nennen des Begriffes zusammen, und frage mich, ob das ein Modethema geworden ist. Es kommt seit 2-3 Jahren auffällig häufig vor. Der Begriff „Syndrom“ klingt fälschlicherweise wie eine Krankheit, was es aber nicht ist. Meine Recherchen zeigen, dass der Anrufer in guter Gesellschaft zu sein scheint und ggf. mehr mit Albert Einstein und Penélope Cruz  und vielen anderen sehr erfolgreichen Menschen gemeinsam hat, als er denkt: Alle sehr erfolgreich. Und sie litten oder leiden unter Selbstzweifeln. Wie ein Schwindler habe sich Einstein wegen der aus seiner Sicht übertriebenen Wertschätzung für ihn gefühlt. Jeder Dreh beginne für sie mit der Angst rauszufliegen, sagte Cruz. Die Angst, man sei nicht so gut, wie ein anderer glaubt und die Angst, aufzufliegen, hat einen Namen: „Hochstapler-Syndrom“ oder auch „Impostor-Phänomen“. Eigentlich meint es das Gegenteil: ein extremes Tiefstapeln.

Entdeckt wurde das Phänomen 1978. Die Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes hatten beobachtet, dass viele Frauen trotz großer Erfolge nicht an ihre Kompetenz glaubten. Sie hielten das für ein überwiegend weibliches Problem. Das wurde in den letzten 30 Jahren jedoch revidiert: Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. „Männer reden nur weniger darüber und machen es mit sich selbst aus“, sagt Sonja Rohrmann, Dekanin und Professorin für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Studien belegen, dass fast jede zweite Führungskraft schon Erfahrungen mit dem Impostor-Phänomen gemacht hat. Je erfolgreicher, desto wahrscheinlicher.

Dabei ist das Imposter Syndrom keine Krankheit, sondern ein  Persönlichkeitsmerkmal. Ich halte den Begriff „Syndrom“ daher für total irreführend, er sollte nicht verwendet werden.

Bekommt jemand, der tatsächlich betroffen ist, eine neue Aufgabe zugewiesen, dann startet der Zyklus der Gefühle des Hochstaplerseins, von Ängsten und Selbstzweifel, der Angst vor Misserfolgen und dem Abwerten der eigenen Fähigkeiten und selbst von Lob Dritter. Im schlimmsten Fall entstehen Schuldgefühle aufgrund von Erfolgen. Dabei ist mir besonders wichtig zu betonen, dass Unsicherheit, die wir alle einmal empfinden, und mit der wir umzugehen lernen können, klar hiervon abzugrenzen ist. Nicht jeder Selbstzweifel, Phasen von Unsicherheit oder Angst bedeuten ein Imposter Phänomen.

Für  Imposter Betroffene ist der erste Schritt zur Überwindung des Hochstapler Gefühls, zunächst anzuerkennen, dass es existiert. Gerade für Führungskräfte, kein leichter Schritt. Dazu können eine ganze Reihe von kognitiven Methoden sinnvoll und hilfreich sein, in denen der gedankliche Prozess betrachtet wird, der im Kopf der Betroffenen abläuft. Ein guter Weg, um das Hochstapler-Syndrom zu bekämpfen ist, die eigenen Gefühle von den Tatsachen zu trennen. 

Die Conscious Leadership Group nennt das „Tatsachen vs. Geschichten“. Tatsachen sind beobachtbare Wahrheiten – Dinge, die eine Videokamera aufnimmt. Geschichten sind, wie wir diese Tatsachen interpretieren. 

Wir können unser Hirn nicht davon abhalten, Geschichten zu erschaffen, aber wir können uns auf die Tatsachen konzentrieren. Wenn Sie nächstes Mal in einer Situation sind, in der Sie sich wie ein Hochstapler oder eine Hochstaplerin fühlen, denken Sie an die Tatsachen, nicht die Geschichten über eine Situation.

Aufschreiben hilft dabei auch oft, die Gedanken besser zu sortieren.

Im Zweifel sollte therapeutische Unterstützung gesucht werden.

Doch selbst bei einem bestehenden Imposter Phänomen ist es wichtig, zu sehen, dass der bestehende Selbstzweifel zu vielen Kompetenzen und Skills bei den Betroffenen geführt hat, von denen sie profitieren. So sind Tiefstapler oft ganz hervorragende Führungspersönlichkeiten. Warum? Nun, weil sie…

  • kein überzogenes Ego haben
  • viel einfühlsamer mit Mitarbeitern umgehen als Führungskräfte, die sich für überlegen halten
  • überdurchschnittlich intrinsisch motiviert sind
  • sehr intensiv reflektieren
  • in der Regel bescheiden sind
  • sich nicht in den Vordergrund drängen und
  • vor allem hervorragende Arbeit leisten

Es gibt aber übrigens auch ein gegenteiliges Syndrom: den 1999 von Justin Kruger und David Dunning (Cornell University) beschriebenen Dunning-Kruger-Effekt. Inkompetente Menschen neigen dazu, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, während sie tatsächliches Können anderer, kompetenterer Personen unterschätzen. Die Kombination dieses Effekts mit Varianten des Hochstapler-Syndroms hatte schon Bertrand Russell 1933 in seinem Aufsatz „The Triumph of Stupidity” provokant beschrieben: „Die grundlegende Ursache der Probleme ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.”

Soweit würde ich nie gehen wollen. Aber klar ist, dass ein gelegentlicher Selbstzweifel, der zu Selbstreflexion, Demut und Lernen führt, sicherlich als gesund zu betrachten ist.