Erst in der letzten Woche habe ich eine Rede gehalten zu: „Erfolgreich, ohne sich aufzureiben“ und heute kam schon mein erster Kunde rein und meinte, er sei mal wieder total am Rotieren und dass er nicht wisse, wie lange er das noch machen kann. Die erste Stunde ist er nur am Ausspeichern, kann kaum sitzen und tigert in meinem Büro auf und ab.

Inhaltlich beschreibt er sein enormes Tempo, das sich fast schon überschlägt mit ständig neuen Themen und Herausforderungen, die dazu kommen. Er ist völlig aufgerieben und wir arbeiten erst einmal daran, wieder Distanz zu den Themen zu bekommen und den Wald vor lauter Bäumen zu sehen.

Interessanterweise realisiert er im Coaching, dass viele der neu dazu gekommenen Themen eigentlich gar nicht seine sind, er sie aber ohne darüber nachzudenken übernommen  und sich darum gekümmert hat. Es kam ihm im Eifer des Gefechts einfach normal und richtig vor. Nicht immer zur Begeisterung seiner Kollegen, was bei Reflektion auch noch zu angespannten Situationen im Führungsgremium geführt hat und damit zu noch mehr Stress.

Ein Schema, das bei allen meinen Kunden ein Dauerbrenner zu sein scheint: Distanzverlust und Aufreibung, kurz: Dauerstress!

Dabei kommen mir immer zwei Bilder in den Sinn:

Je schneller sich das Rad dreht, desto schwerer ist es, die nötige Distanz zu halten. Es ist wie in einer Zentrifuge, je schneller sie sich dreht, desto mehr wird man an die Außenwand gedrückt und desto mehr reibt man sich auf.

Das zweite Bild, das ich im Kopf habe, ist, das einen schnellen Läufers, der übers Spielfeld rennt. Wirft man ihm Bälle, so fängt er sie instinktiv und rennt mit ihnen weiter, ganz egal, ob sie für ihn bestimmt sind. Der langsamere, aufmerksamere Läufer jedoch kann den Ball vor sich auf den Boden landen lassen und ihn betrachten. Dann kann er entscheiden: „ ist der überhaupt richtig bei mir, soll ich ihn liegen lassen oder weiterwerfen oder ist er wichtig für mich, gar wichtiger als ein anderer Ball, den ich trage.“

Beide Bilder machen klar, dass Aufreibung und auch Überlast mit Distanzverlust und Geschwindigkeit zusammenhängen.

Mein oben genannter Kunde war bisher der Meinung, dass das abendliche Joggen genug Distanz schafft. Jetzt weiß er: Leider nein!

Die Forschung zu Stress belegt ganz klar, dass Stress an sich positiv von der Natur für uns angelegt ist. Punktueller Stress ist leistungserhöhend. Wir rennen schneller, wenn wir den Tiger sehen. Stress wird dann aber zu einem Problem, wenn er ein Dauerzustand wird. Dann ist die Abwesenheit von Distanzbringern und Erholung das Problem. Im Spitzensport ist das seit Jahren klar: der Erholungsplan ist mindestens so wichtig, wie der Trainingsplan und muss ritualisiert und diszipliniert eingehalten werden.

Überträgt man die Forschung zu Stress und Hochleistung auf unseren anspruchsvollen Arbeitsalltag, wird klar, dass es nicht ausreicht, am Abend einen Erholungsblock zu setzen. Wir brauchen kleine Erholungsrituale über den Tag verteilt, die in Stein gemeißelt sind. „Warum Rituale?“, kann man sich fragen.  Ganz einfach: ohne Ritualcharakter hält der beste Vorsatz dem ersten Terminkonflikt nicht stand und wird über Board geworfen, sobald der Chef oder der Aufsichtsrat dringend was von uns will.

Es ist, wie wenn man nach langer Zeit wieder mit dem Sport beginnt. Die ersten 6 Wochen muss man sich disziplinieren und die Zeiten einhalten. Dann wird es plötzlich ganz einfach und noch eine Stufe weiter, kann man nicht mehr ohne.

Mein Kunde hat sich dann im Coaching einen Plan erstellt und überlegt, welche kleinen Breaks und Gelegenheiten zum Abstandnehmen und Durchatmen für ihn realistisch regelmäßig umsetzbar sind. Es ist seine wichtigste Verantwortung, sich leistungsfähig zu halten:

Er wird künftig eine Stunde früher starten und die erste Stunde des Tages ohne Termin und ohne Hektik verbringen. Dabei wird er darüber nachdenken, was heute besonders wichtig ist und dabei einen Kaffee trinken.

Um 10.30 Uhr plant er einen täglichen Lauf durch die Abteilungsflure mit der Gelegenheit zum spontanen Austausch mit denjenigen, die er trifft, jetzt, wo er wieder viel im Büro ist. An den Homeofficetagen sind da 30 Minuten Luft für Kaffee und ein bisschen Bewegung.

In der Mittagszeit geht er nun immer essen und nutzt die Zeit zum Netzwerken und überwiegend zum Zuhören, was andere bewegt.

Der 16 Uhr Termin ist künftig immer ein Spaziergang-Termin, gerne mit Telefonat oder physisch mit einem Gesprächspartner. Aber bei jedem Wetter findet er draußen statt.

Abends geht er, wie bisher, laufen.

Mit diesen Ritualen schafft er regelmäßige kleine Breaks, die den Sog des Alltagsgeschäft durchbrechen. Es reichen kleine Maßnahmen zur Distanzgewinnung und zum Regenerieren. Wichtig ist, sie regelmäßig und ritualisiert zu tun. Diese Breaks können bei jedem anders aussehen und müssen an die eigenen Vorlieben und den Arbeitsalltag angepasst werden. Einer meiner Kunden ist meditationserfahren und hat einen festen Meditationsblock im Kalender, ein anderer kocht mittags im Homeoffice, da ihn das entspannt. Eine Kundin isst immer mit der Familie zu Mittag und macht um 16 Uhr eine Atempause. Es gibt so viele Möglichkeiten, jeder kann eigene kleine Rituale über den Tag einrichten.

Schon Aristoteles stellte fest: “Du bist, was du wiederholt tust“.

Wenn wir wiederholt entspannen und in Abstand gehen, sind wir entspannter und nicht so aufgerieben. Wir sind aber auch erfolgreicher, weil wir ohne die Dauer-Hektik des Tages besser erkennen, was wirklich wichtig ist.

Viel Erfolg beim Einrichten eurer Rituale! Lasst mich gerne wissen, was für euch gut funktioniert….