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„Eines der wichtigsten Instrumente zur Machtausübung ist die systematische Erzeugung von Angst“ – Ist das so?
Gruselt es euch schon oder stimmt ihr dem zu?
Über einen Post mit diesem Zitat bin ich heute Morgen gestolpert. Es greift auf, was in einigen Führungetagen immer noch geglaubt wird. So sagte einer meiner letzten Kollegen immer voller Überzeugung: „Machtvolle Führung geht nur mit Angst oder Liebe. Liebe ist nicht so mein Ding“. Ich lasse das mal unkommentiert……
Machtausübung ist lt. Soziologen unausweichlich und allgegenwärtig, sobald mehrer Menschen zusammen kommen und erfolgt in hierarchischer Struktur immer auch formal. Macht bedeutet Gestaltungsspielraum. Formal durch das Recht zu strafen und zu belohnen oder durch überlegenes und ungeteiltes Wissen. Führen mit Angst ist ein Ausdruck von großer formaler Macht.
Unabhängig, ob man Führen mit Angst noch als zielführendes Mittel betrachtet (was ich nicht tue), ist Führen mit Angst nicht die beste Art zu führen. Man kennt heute weitere sehr wirkungsvolle Quellen von Macht, die sog. informalen Machtquellen, die oft wirkungsvoller sind, als bloße formale Macht.
Wer formale Macht nutzt ohne informale Machtquellen, wird zwar gefürchtet aber auch schnell zur Witzfigur, über die ihm Flur gewitzelt wird.
Jedes Unternehmen kennt formal sehr mächtige Personen, die aber gar nicht so viel tatsächliche Macht haben und Menschen mit sehr viel Einfluss und Macht, obwohl sie keine großen hierarchischen Positionen innehaben. Deren Machtquellen sind die informalen. Auch in agilen und flachen Strukturen greifen informale Machtquellen.
Informale Machtquellen sind:
1. Charismatische Macht: Charismatische Führungskräfte können andere durch ihre Ausstrahlung, Überzeugungskraft und Inspiration beeinflussen.
2. Expertenmacht: basiert auf dem Wissen, den Fähigkeiten oder der Expertise einer Person. Andere respektieren und akzeptieren die Meinung und den Rat von Experten aufgrund ihres Fachwissens und der Fähigkeit anderen zu helfen, ohne das Gegenüber dadurch klein wirken zu lassen.
3. Beziehungsnetzwerk: Diese Form der Macht beruht auf den Beziehungen und Verbindungen einer Person zu anderen einflussreichen Personen oder Gruppen. Indem man ein umfangreiches Netzwerk von Kontakten aufbaut und pflegt, kann man informale Macht gewinnen. Wer andere sich gut fühlen lässt oder mit Humor Leichtigkeit bringen kann, hat oft viel Beziehungsmacht
4. Informationsmacht: Diese Machtquelle basiert auf dem Zugang zu relevanten Informationen, die für andere wertvoll sind. Wenn jemand über wichtige Informationen verfügt oder den Informationsfluss kontrollieren kann, kann er oder sie Macht über andere ausüben.
Es ist wichtig anzumerken, dass diese Quellen der Macht nicht unbedingt unabhängig voneinander sind. Oftmals wirken sie zusammen und können sich gegenseitig verstärken oder abschwächen.
Wer Themen voranbringen oder etwas verändern möchte, wer gehört werden möchte, braucht Machtquellen.
Ich plädiere aber sehr, den Quatsch mit der Angst endlich bleiben zu lassen!
„Muss ich als Führungskraft jetzt ganz anders werden?“
„Muss ich als Führungskraft jetzt ganz anders werden?“ werde ich oft gefragt. Folgt man den vielen Beitragen dazu, könnte man meinen, wir stehen gerade vor einer nie gewesenen Revolution in Leadership und Organisation.
Dabei ist und war Führung immer schon vom Kontext abhängig. Startups in der Gründungsphase brauchen ein anderes Leadership, als in der Skalierungsphase, Restrukturierung ein anderes Führungsverhalten, als starkes Wachstum etc….. Eine Führungskraft, die in einem Kontext hervorragende Erfolge erzielt, hat schon immer in einem ganz anderen Kontext scheitern können.
Die Anforderungen an Führung waren nie statisch und einheitlich und Untersuchungen zeigen zudem, dass neben dem Einfluss von innerbetrieblichem Kontext auch vor allem große macroökonomischen Veränderungen neue Anforderungen an Führung generieren.
Im HBR wurde letztes Jahr eine interessante Studie dazu veröffentlicht unter der reisserischen Aufmachung: Passen Sie als Manager in diese Zeit?“
Dort heißt es: „Große Führungspersönlichkeiten zeichneten sich weniger durch beständige Charaktereigenschaften aus als vielmehr durch ihre Fähigkeit, die Chancen, die sich ihnen in bestimmten Momenten boten, als solche zu erkennen und zu nutzen. Sie hatten ein Gespür für den Zeitgeist – die Stimmung, die Ideen und Überzeugungen einer bestimmten Epoche – und waren in der Lage, die Gelegenheit zu ergreifen.“
Anders ausgedrückt: Eine Person, die in einer Epoche beeindruckende Erfolge feiert, könnte in einer anderen kläglich scheitern. Nach der im Harvard Business Review veröffentlichten Studie wird der Zeitgeist von sechs Faktoren bestimmt: globalen Ereignissen, staatlichen Eingriffen, Arbeitsverhältnissen, Demografie, gesellschaftlichen Normen und technologischen Entwicklungssprüngen.
Mit Pandemie, geopolitischen neuen Verwerfungen, Krieg in Europa, dem Infragestellen und dem Erleben der Grenzen der Globalisierung, den demographischen Herausforderungen, neuen signifikant veränderten finanziellen Rahmenbedingungen und den technologischen Sprüngen durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ist auf allen Einflussbereichen so große Bewegung, dass der gegenwärtige Kontext wohl gewaltige Anforderung an die kontextuelle Intelligenz von Managern stellt.
Sucht man nach schlüssigen Modellen, die das gut beleuchten, wird man bei Bill Joiner und Stephen Josephs fündig. In Ihrem lesenswerten Buch Leadership Agility werden Führungsmodelle intensiv beleuchtet. Meine Kollegen der Coachinggesellschaft haben eine wunderbare Graphik dazu erstellt:
Das eindrückliche Modell unterscheidet im wesentlichen zwischen drei Führungsmodellen: dem Experten, dem strategischen Achiever und dem visionären und facilitierungsstarken Catalyst.
Bei geringer Komplexität und Dynamik, ist der Führungstyp Experte wohl immer noch oft eine gute Wahl. Expertenführungskräfte führen mit fachüberlegenem Wissen, leiten an und schützen ihr Wissen, denn daraus leitet sich ihre Macht ab. Als ich in den 90er Jahren in der Industrie startete, war der Experte der dominierende Führungstyp. Eine meiner ersten Aufgaben bestand darin, den Übergang zum neuen Typ Führung zu begleiten, den Joiner „Achiever“ nennt. Hintergrund war die gestiegene Komplexität der Herausforderungen, auch durch die Globalisierung. Gefragt ist seither ein strategischer Führungstyp, der die Richtung vorgibt, Ziele setzt und mit Predict und Control nachhält. Er soll Mitarbeiter führen, die über mehr Expertise verfügen, als er selbst und diese dazu motivieren, die gesetzten Ziele zu erreichen. Das ist heute der dominierende Führungsstil, mit dem ca. 60 % aller Führungskräfte sozialisiert sind. Der Anteil von Experten in Führung ist seit den 90er Jahren deutlich zurückgegangen wir wird heute auf max. 30% geschätzt.
Mit der Digitalisierung und der daraus entstandenen Dynamik ist dann ein neuer Führungsstil aufgetaucht, den die meisten mit „agil“ in Verbindung bringen, der sog. „Catalyst“. Er soll in hochkomplexen und dynamischen Kontexten bessere Erfolge erzielen, als der Achiever. Dieser Führungstyp zeichnet sich durch starke Visionskraft aus und durch die Fähigkeit, unterschiedlichste Perspektiven an den Tisch zu bringen und zusammen Lösungen und Ziele zu finden, die auch ein noch so brillianter Einzelner nicht mehr generieren kann. Ein Führungsstil, der sehr viel emotionale Intelligenz und Facilitierungsfähigkeit erfordert. Dieser Typ ist zunächst in den hochdynamischen digitalen Geschäftsmodellen sehr erfolgreich gewesen und verbreitet sich auch in andere Branchen und Industrien. Er wird laut Joiner von ca. 10% der Führungskräfte heute angewendet. Dieser Führungstyp hat noch mehrere weitere Stufen, wie den Co-Creator, die immer mehr in Richtung Gemeinnützigkeitsorientierung gehen, die ich hier aber nicht beleuchten werde, da sie derzeit von marginaler Verbreitung sind.Für diejenigen, die sich vertieft damit beschäftigen wollen, ist die Lektüre des Buches sehr zu empfehlen.
Es ist bei all den Verschiebungen und Veränderungen kein Wunder, dass derzeit viel Überforderung und Verunsicherung zu spüren ist. Auch erfahrene und erfolgsverwöhnte Führungskräfte, die ins Coaching kommen, fühlen sich verunsichert und überfordert.
Müssen jetzt also alle Führungskräfte Catalysten werden und ihr bestehendes Führungswissen und die antrainierten Muster umgehend über Board werfen, was ja gerade viele lautstark propagieren? Meine Antwort dazu ist ganz klar: nein! Umstellungen im Führungsverhalten sind Kraftakte, was jeder weiß, der die Umstellung von Expertentum auf strategische Zielsetzung in den 1990ern und 2000ern selbst miterlebt hat. Eine Revolution in der Führung würde viele ohnehin schon angespannte Systeme derart destabilisieren, dass sie zu kollabieren drohen. Man sollte nie vergessen, dass die erwähnten Führungstypen Modelle sind und nicht in Stein gemeißelte Abbildungen aller möglichen Formen.
Dennoch plädiere ich dafür, sich als Führungspersönlichkeit zu entwickeln!
Da Führung kontextabhängig ist, ist es wichtig, dass Führungskräfte an Ihrer kontextuellen Intelligenz arbeiten. Ein konstantes Weiterentwickeln von sich als Führungspersönlichkeit ist heute bei den massiven Kontextveränderungen keine Kür mehr, sondern Pflicht!
Von Hochstaplern und Tiefstaplern
Gerade kam ein Anruf eines Geschäftsführers, er wolle an seinem Imposter Syndrom arbeiten. Ich zucke beim Nennen des Begriffes zusammen, und frage mich, ob das ein Modethema geworden ist. Es kommt seit 2-3 Jahren auffällig häufig vor. Der Begriff „Syndrom“ klingt fälschlicherweise wie eine Krankheit, was es aber nicht ist. Meine Recherchen zeigen, dass der Anrufer in guter Gesellschaft zu sein scheint und ggf. mehr mit Albert Einstein und Penélope Cruz und vielen anderen sehr erfolgreichen Menschen gemeinsam hat, als er denkt: Alle sehr erfolgreich. Und sie litten oder leiden unter Selbstzweifeln. Wie ein Schwindler habe sich Einstein wegen der aus seiner Sicht übertriebenen Wertschätzung für ihn gefühlt. Jeder Dreh beginne für sie mit der Angst rauszufliegen, sagte Cruz. Die Angst, man sei nicht so gut, wie ein anderer glaubt und die Angst, aufzufliegen, hat einen Namen: „Hochstapler-Syndrom“ oder auch „Impostor-Phänomen“. Eigentlich meint es das Gegenteil: ein extremes Tiefstapeln.
Entdeckt wurde das Phänomen 1978. Die Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes hatten beobachtet, dass viele Frauen trotz großer Erfolge nicht an ihre Kompetenz glaubten. Sie hielten das für ein überwiegend weibliches Problem. Das wurde in den letzten 30 Jahren jedoch revidiert: Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. „Männer reden nur weniger darüber und machen es mit sich selbst aus“, sagt Sonja Rohrmann, Dekanin und Professorin für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Studien belegen, dass fast jede zweite Führungskraft schon Erfahrungen mit dem Impostor-Phänomen gemacht hat. Je erfolgreicher, desto wahrscheinlicher.
Dabei ist das Imposter Syndrom keine Krankheit, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Ich halte den Begriff „Syndrom“ daher für total irreführend, er sollte nicht verwendet werden.
Bekommt jemand, der tatsächlich betroffen ist, eine neue Aufgabe zugewiesen, dann startet der Zyklus der Gefühle des Hochstaplerseins, von Ängsten und Selbstzweifel, der Angst vor Misserfolgen und dem Abwerten der eigenen Fähigkeiten und selbst von Lob Dritter. Im schlimmsten Fall entstehen Schuldgefühle aufgrund von Erfolgen. Dabei ist mir besonders wichtig zu betonen, dass Unsicherheit, die wir alle einmal empfinden, und mit der wir umzugehen lernen können, klar hiervon abzugrenzen ist. Nicht jeder Selbstzweifel, Phasen von Unsicherheit oder Angst bedeuten ein Imposter Phänomen.
Für Imposter Betroffene ist der erste Schritt zur Überwindung des Hochstapler Gefühls, zunächst anzuerkennen, dass es existiert. Gerade für Führungskräfte, kein leichter Schritt. Dazu können eine ganze Reihe von kognitiven Methoden sinnvoll und hilfreich sein, in denen der gedankliche Prozess betrachtet wird, der im Kopf der Betroffenen abläuft. Ein guter Weg, um das Hochstapler-Syndrom zu bekämpfen ist, die eigenen Gefühle von den Tatsachen zu trennen.
Die Conscious Leadership Group nennt das „Tatsachen vs. Geschichten“. Tatsachen sind beobachtbare Wahrheiten – Dinge, die eine Videokamera aufnimmt. Geschichten sind, wie wir diese Tatsachen interpretieren.
Wir können unser Hirn nicht davon abhalten, Geschichten zu erschaffen, aber wir können uns auf die Tatsachen konzentrieren. Wenn Sie nächstes Mal in einer Situation sind, in der Sie sich wie ein Hochstapler oder eine Hochstaplerin fühlen, denken Sie an die Tatsachen, nicht die Geschichten über eine Situation.
Aufschreiben hilft dabei auch oft, die Gedanken besser zu sortieren.
Im Zweifel sollte therapeutische Unterstützung gesucht werden.
Doch selbst bei einem bestehenden Imposter Phänomen ist es wichtig, zu sehen, dass der bestehende Selbstzweifel zu vielen Kompetenzen und Skills bei den Betroffenen geführt hat, von denen sie profitieren. So sind Tiefstapler oft ganz hervorragende Führungspersönlichkeiten. Warum? Nun, weil sie…
- kein überzogenes Ego haben
- viel einfühlsamer mit Mitarbeitern umgehen als Führungskräfte, die sich für überlegen halten
- überdurchschnittlich intrinsisch motiviert sind
- sehr intensiv reflektieren
- in der Regel bescheiden sind
- sich nicht in den Vordergrund drängen und
- vor allem hervorragende Arbeit leisten
Es gibt aber übrigens auch ein gegenteiliges Syndrom: den 1999 von Justin Kruger und David Dunning (Cornell University) beschriebenen Dunning-Kruger-Effekt. Inkompetente Menschen neigen dazu, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, während sie tatsächliches Können anderer, kompetenterer Personen unterschätzen. Die Kombination dieses Effekts mit Varianten des Hochstapler-Syndroms hatte schon Bertrand Russell 1933 in seinem Aufsatz „The Triumph of Stupidity” provokant beschrieben: „Die grundlegende Ursache der Probleme ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.”
Soweit würde ich nie gehen wollen. Aber klar ist, dass ein gelegentlicher Selbstzweifel, der zu Selbstreflexion, Demut und Lernen führt, sicherlich als gesund zu betrachten ist.
Manchmal sind wir Teil des Problems, nicht Teil der Lösung…..
Wir können uns selbst das Leben und die Arbeit so richtig schwer machen: Auf vielerlei Art aber insbesondere durch unser Denken. Im Moment kommen sehr viele meiner Kunden und Kundinnen mit großer mentaler Belastung ins Coaching. Ständige Attacken aushalten und parieren müssen, in nicht endend wollender Unsicherheit entscheiden müssen,so beschreiben viele gerade ihren Berufsalltag. Ein wahrlich aufreibender Zustand!
Letzte Woche berichtete mir ein Konzernvorstand, sichtlich mitgenommen, dass ein CEO einer Tochterfirma, bei dem er von Anfang an den Eindruck fehlender Solidarität spürte, jetzt alles tut, um ihn zu schädigen und abzusägen. Er ist daher nur noch in Habachtstellung und im Kampfmodus, dauerverspannt und schläft noch schlecht.
Ich habe ihn dann die Situationen und Dialoge möglichst detailliert beschreiben lassen und war erstaunt, denn keine der Situationen hat aus meiner außenstehenden Perspektive nach Angriff ausgesehen.
Im Coaching hat mein Kunde dann entdeckt, dass er sich gerade sehr angreifbar fühlt und daher Handlungen anderer mit diesem Interpretationsfilter beurteilt. Er hat sich eingestanden, sich verunsichert und nicht mehr fest im Sattel zu fühlen. Ein Misserfolg im letzten Jahr und die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen waren der Nährboden dafür.
Wir haben dann die einzelnen Situationen noch einmal intensiv beleuchtet und mein Kunde hatte ein großes Aha-Erlebnis: sein mittlerweile verhasster CEO der Tochterfirma, hat gar nicht gegen den Chef gekämpft, sondern für seine eigenen Belange, die natürlich in einigen Punkten aus der Rolle heraus konfliktär sind. Der Konzernvorstand hat Angriffe erlebt, die gar keine waren. Aus dem Gedanken heraus, angegriffen zu sein, hat mein Kunde aber viele Gegenschläge vorgenommen und die Situation hat sich durch sein Zutun massiv zugespitzt.
Ein Dauerthema im Coaching-Alltag! Wir meinen, wir sehen die Dinge richtig und glauben alles, was wir denken. Die Bedeutung von Situationen bestimmen nämlich wir, durch den Rahmen, den wir ihnen geben. Wenn wir denken, das Gegenüber will uns Übles und stellt eine Bedrohung dar, ist das ebenso belastend, wie eine reale Bedrohung.
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind: Wir sehen die Dinge wie wir sind.“ Das aus dem Talmut stammende Zitat, das häufig Anäis Nin zugeschrieben wird, trifft den Punkt.
Das menschliche Gehirn kann bauartbedingt nicht anders als zuordnen, einteilen und vergleichen. Jeder Sinneseindruck, der als Reiz im sensorischen Teil des Hypothalamus ankommt, wird überprüft, inwiefern bereits eine Erfahrung im autobiographisches Gedächtnis und im limbischen System, unserer Gefühlswelt vorliegt: Ist er bekannt? Lässt er sich zuordnen? Gibt es Erfahrungswerte? Gibt es Zusammenhänge? Finden sich Ähnlichkeiten? Erst danach entscheidet sich, wie mit dem Sinneseindruck umgegangen werden kann.
Objektivität können wir nicht!
Dennoch sind wir Menschen darauf angewiesen, mit unserer Umgebung in Beziehung zu gehen und uns dabei ein Bild von ihr zu machen. Solange alles unproblematisch läuft und diese Beziehungen reibungslos verlaufen, spielt es meist keine große Rolle. Wichtig wird die Unterscheidung dann, wenn es „knirscht im Getriebe“, wenn die Beziehung auf irgendeine Art problematisch wird: Missverständnisse, Wertungen, Deutungen und vieles mehr sorgen für Verletzungen, Ärger, Wut, Enttäuschung , Angst und im besprochenen Fall zu Gegenangriff und Daueranspannung.
Um dem zu begegnen hilft nur Reflexion. Manchmal sind wir Teil des Problems. Die gute Nachricht ist, dass wir dann auch Teil der Lösung sein können!
Lässt ein Sprung in der Schüssel das Licht herein?
Ich höre immer wieder, dass diverse Teams besser performen und die damit verbundene Frage, ob das tatsächlich kausal ist. Ist Perspektivenvielfalt tatsächlich ein Unternehmensgewinn oder führt er doch eher zu Aufreibung und Lähmung?
Interessant ist, was meine Kunden, die überwiegend Firmenlenker sind, berichten.
Jeder meiner Kunden und Kundinnen hat schon diese beiden Erfahrungen gemacht:
Er oder sie hat schon mal ein ganz homogenes Team geführt oder war Teil eines solchen. Viele schon mehrfach. Die Zusammenarbeit in diesen Teams treibt Topführungskräften noch das Glänzen in den Augen. Man versteht sich blind und weiß, was der andere sagen will, bevor der Satz zu Ende gebracht ist. In solchen Teams gibt es kaum Reibung, da größtmögliche Gemeinsamkeit und gleiches Denken herrscht. Das ganze Energie-zehrende Aufreiben untereinander gibt es kaum, da das Gegenüber nicht als sperrig oder anstrengend empfunden wird. Eine oft beglückende und energetisch positive Situation.
Meine Kunden berichten aber auch von den Schwierigkeiten, Missverständnissen und Streitereien in sehr diversen Teams. Wie sehr bestimmte Personen einen nerven, da sie mit abstrusen Ideen daher kommen, wo man selbst im Kopf an ganzer anderer Stelle steht. Ein Team voller Menschen mit ganz anderen Denkstrukturen, Hintergründen und gelernten Erfahrungen ist oft ein Quell des Frustes und der Aufreibung.
Aber: das diverse Team deckt viel mehr an Fähigkeiten ab, beherbergt mehr Kraft zur Innovation, das ist ein Nobrainer.
Allerdings ist das diverse Team viel schwerer zu führen und braucht andere Leadershipskills und vor allem emotionale Intelligenz, um aus der Vielfalt eine Stärke zu formen und Missverständnisse und Irritation in kraftvolle Mehrperspektivität und Innovationsfähigkeit zu wandeln.
Die als Beitragsbild angehängte Graphik des IMD Lausanne veranschaulicht deutlich:
Die Forschung bestätigt das Erleben meiner Kunden: Diverse Teams performen schlechter, als heterogene Teams. Aber: Diverse Teams outperformen dann homogene Teams, wenn sie sehr gut geführt sind.
Dafür braucht es einen Shift von Führen durch Antworten und Ansagen zu Führen mit Fragen, einen Shift von der Fixierung auf die eigene Macht zur Ermächtigung/Empowerment der anderen, ein Zuhören und verstehen, statt von der eigenen Sicht zu überzeugen und auch die Fokussierung auf Emotionale Intelligenz – und zwar in all ihren Facetten:
- Selbst Bewussheit
- Selbst-Regulierung
- Resilienz und Eigenmotivation
- Empathie und
- Der Fähigkeit, Andere in und mit ihren Emotionen zu managen
Einer meiner Kunden hat es auf den Punkt gebracht: “Ich brauche Führungspersönlichkeiten, die das „next level leadership“ mitbringen….”
Erfolgreich ohne sich aufzureiben
Erst in der letzten Woche habe ich eine Rede gehalten zu: „Erfolgreich, ohne sich aufzureiben“ und heute kam schon mein erster Kunde rein und meinte, er sei mal wieder total am Rotieren und dass er nicht wisse, wie lange er das noch machen kann. Die erste Stunde ist er nur am Ausspeichern, kann kaum sitzen und tigert in meinem Büro auf und ab.
Inhaltlich beschreibt er sein enormes Tempo, das sich fast schon überschlägt mit ständig neuen Themen und Herausforderungen, die dazu kommen. Er ist völlig aufgerieben und wir arbeiten erst einmal daran, wieder Distanz zu den Themen zu bekommen und den Wald vor lauter Bäumen zu sehen.
Interessanterweise realisiert er im Coaching, dass viele der neu dazu gekommenen Themen eigentlich gar nicht seine sind, er sie aber ohne darüber nachzudenken übernommen und sich darum gekümmert hat. Es kam ihm im Eifer des Gefechts einfach normal und richtig vor. Nicht immer zur Begeisterung seiner Kollegen, was bei Reflektion auch noch zu angespannten Situationen im Führungsgremium geführt hat und damit zu noch mehr Stress.
Ein Schema, das bei allen meinen Kunden ein Dauerbrenner zu sein scheint: Distanzverlust und Aufreibung, kurz: Dauerstress!
Dabei kommen mir immer zwei Bilder in den Sinn:
Je schneller sich das Rad dreht, desto schwerer ist es, die nötige Distanz zu halten. Es ist wie in einer Zentrifuge, je schneller sie sich dreht, desto mehr wird man an die Außenwand gedrückt und desto mehr reibt man sich auf.
Das zweite Bild, das ich im Kopf habe, ist, das einen schnellen Läufers, der übers Spielfeld rennt. Wirft man ihm Bälle, so fängt er sie instinktiv und rennt mit ihnen weiter, ganz egal, ob sie für ihn bestimmt sind. Der langsamere, aufmerksamere Läufer jedoch kann den Ball vor sich auf den Boden landen lassen und ihn betrachten. Dann kann er entscheiden: „ ist der überhaupt richtig bei mir, soll ich ihn liegen lassen oder weiterwerfen oder ist er wichtig für mich, gar wichtiger als ein anderer Ball, den ich trage.“
Beide Bilder machen klar, dass Aufreibung und auch Überlast mit Distanzverlust und Geschwindigkeit zusammenhängen.
Mein oben genannter Kunde war bisher der Meinung, dass das abendliche Joggen genug Distanz schafft. Jetzt weiß er: Leider nein!
Die Forschung zu Stress belegt ganz klar, dass Stress an sich positiv von der Natur für uns angelegt ist. Punktueller Stress ist leistungserhöhend. Wir rennen schneller, wenn wir den Tiger sehen. Stress wird dann aber zu einem Problem, wenn er ein Dauerzustand wird. Dann ist die Abwesenheit von Distanzbringern und Erholung das Problem. Im Spitzensport ist das seit Jahren klar: der Erholungsplan ist mindestens so wichtig, wie der Trainingsplan und muss ritualisiert und diszipliniert eingehalten werden.
Überträgt man die Forschung zu Stress und Hochleistung auf unseren anspruchsvollen Arbeitsalltag, wird klar, dass es nicht ausreicht, am Abend einen Erholungsblock zu setzen. Wir brauchen kleine Erholungsrituale über den Tag verteilt, die in Stein gemeißelt sind. „Warum Rituale?“, kann man sich fragen. Ganz einfach: ohne Ritualcharakter hält der beste Vorsatz dem ersten Terminkonflikt nicht stand und wird über Board geworfen, sobald der Chef oder der Aufsichtsrat dringend was von uns will.
Es ist, wie wenn man nach langer Zeit wieder mit dem Sport beginnt. Die ersten 6 Wochen muss man sich disziplinieren und die Zeiten einhalten. Dann wird es plötzlich ganz einfach und noch eine Stufe weiter, kann man nicht mehr ohne.
Mein Kunde hat sich dann im Coaching einen Plan erstellt und überlegt, welche kleinen Breaks und Gelegenheiten zum Abstandnehmen und Durchatmen für ihn realistisch regelmäßig umsetzbar sind. Es ist seine wichtigste Verantwortung, sich leistungsfähig zu halten:
Er wird künftig eine Stunde früher starten und die erste Stunde des Tages ohne Termin und ohne Hektik verbringen. Dabei wird er darüber nachdenken, was heute besonders wichtig ist und dabei einen Kaffee trinken.
Um 10.30 Uhr plant er einen täglichen Lauf durch die Abteilungsflure mit der Gelegenheit zum spontanen Austausch mit denjenigen, die er trifft, jetzt, wo er wieder viel im Büro ist. An den Homeofficetagen sind da 30 Minuten Luft für Kaffee und ein bisschen Bewegung.
In der Mittagszeit geht er nun immer essen und nutzt die Zeit zum Netzwerken und überwiegend zum Zuhören, was andere bewegt.
Der 16 Uhr Termin ist künftig immer ein Spaziergang-Termin, gerne mit Telefonat oder physisch mit einem Gesprächspartner. Aber bei jedem Wetter findet er draußen statt.
Abends geht er, wie bisher, laufen.
Mit diesen Ritualen schafft er regelmäßige kleine Breaks, die den Sog des Alltagsgeschäft durchbrechen. Es reichen kleine Maßnahmen zur Distanzgewinnung und zum Regenerieren. Wichtig ist, sie regelmäßig und ritualisiert zu tun. Diese Breaks können bei jedem anders aussehen und müssen an die eigenen Vorlieben und den Arbeitsalltag angepasst werden. Einer meiner Kunden ist meditationserfahren und hat einen festen Meditationsblock im Kalender, ein anderer kocht mittags im Homeoffice, da ihn das entspannt. Eine Kundin isst immer mit der Familie zu Mittag und macht um 16 Uhr eine Atempause. Es gibt so viele Möglichkeiten, jeder kann eigene kleine Rituale über den Tag einrichten.
Schon Aristoteles stellte fest: “Du bist, was du wiederholt tust“.
Wenn wir wiederholt entspannen und in Abstand gehen, sind wir entspannter und nicht so aufgerieben. Wir sind aber auch erfolgreicher, weil wir ohne die Dauer-Hektik des Tages besser erkennen, was wirklich wichtig ist.
Viel Erfolg beim Einrichten eurer Rituale! Lasst mich gerne wissen, was für euch gut funktioniert….
Wie sieht es mit der Macht aus in agilen Unternehmen?
Viele Menschen und vor allem die jüngeren Generationen tun sich schwer mit den Machtstrukturen in traditionellen Organisationen und hinterfragen die gegebenen Spielregeln. Selbst diejenigen, die geborene Politiker zu sein scheinen, oder sich mit der ein oder anderen blutigen Nase die Spielregeln der Macht angeeignet haben, fluchen nicht selten genug darüber. Umso erfreulicher, dass sich seit Jahren eine Verschiebung abzeichnet, weg von traditionellen Strukturen und Leadership hin zu agilem Arbeiten. Liest man dann über agile Unternehmen, kommt man leicht auf den Gedanken, dass neben den vielen Vorteilen der Agilität in der neuen demokratischerer Arbeitswelt das Problem mit der Macht und den Machtstrukturen verschwindet. Ein reizvoller Gedanke für viele, doch ist das so?
Soziologen sagen, Macht sei ein „soziologisch amorphes“ Phänomen. Damit meinen sie, dass Macht in allen Formen menschlichen Miteinanders allgegenwärtig ist. Das wird schon früh sichtbar: Bereits im Kindergarten kann man beobachten, dass einigen Kindern, die Durchsetzung ihres Willens wichtiger ist, als anderen. Interessanter wird es noch bei Jugendlichen und ihren Cliquen. Ich staune immer wieder, wie klar die Rollen, wie stark die Hierarchien und die Dynamiken in der Gruppe der Jugendlichen sind, wie gut aber auch das Aufeinanderaufpassen innerhalb der Gruppe funktioniert. Es gibt Tonangeber, deren Meinung Gesetz ist und eher geduldete Außenseiter und ich muss dabei oft daran denken, dass ein provokativer Redner mal meinte, wer Organisationen verstehen will, solle die Strukturen der Streetgangs in den Bronx studieren. Soweit weg muss man aber gar nicht gehen: Man kann Machstrukturen in Ehen, Freundschaften, selbst im Ehrenamt und in Familien erkennen, im politischen und schulischen Kontext oder in Vereinen.
Macht scheint mit uns Menschen verknüpft und die Suche nach einem machtfreien Raum im zwischenmenschlichen Leben wohl vergeblich. Kommt Macht nicht in Form von Hierarchie daher, dann tritt sie zu Tage in Form von Informalität, in der die Über- und Unterordnung in subtilerem Gewand daher kommt. Es gibt also die formale und die informale Macht, man könnte auch sagen: hard und soft power.
Formale Form der Macht ist die Autorität kraft Position, die im Wesentlichen mit dem Recht von Belohnen und Bestrafen ausgestattet ist. Informelle Macht liegt in der Person des Agierenden und hat Machtquellen wie Expertise, Reife, Integrität und sogar Humor. Informal mächtige Menschen sind oft Menschen, die uns gut fühlen lassen oder die unseren Respekt genießen.
Selbst in hierarchischen Organisationen ist Macht nicht nur dem Rang geschuldet. Es gibt überall starke Meinungsmacher, die kaum hierarchische Power haben, aber dafür sehr viel informale. Und es gibt Chefs, die vergleichbar wenig Macht haben, trotz ihrer Position. Denn auch in traditionellen Strukturen müssen Chefs neben ihrer hierarchischen Macht auch über informelle Macht verfügen. Besitzen Vorgesetzte nur formale Amtsautorität und wenig persönliche Autorität, werden sie als schwache und unfähige Führungskräfte wahrgenommen. Meist ein Alptraum für alle Beteiligten!
Da Macht allgegenwärtig ist, stellt sich die natürliche Frage, wie sie in modernen und agilen Unternehmen zu finden ist. Eine gerade im Journal für Psychologie veröffentlicher Artikel von Michael W. Buch und Karin Link hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, wie Macht in agilen Strukturen stattfindet.
Agile Organisationen verankern Entscheidungsbefugnisse in kleinen Teams oder Kreisen und Rollen und zeichnen sich durch maximal flache Hierarchien aus. Macht tritt dann in anderen Formen auf, folgt jedoch auch dem Prinzip der Über- und Unterordnung. Letztlich geht es nach den Psychologen auf die Frage zurück: wer kann sich gegen wen durchsetzen bzw. freundlicher formuliert: wie Meinungen und Sichtweisen gewichtet werden, hängt am Ende wieder von Einflussverhältnissen, also dem Faktor Macht ab. Interessant ist, dass dem Faktor Sympathie in der agilen Organisation eine immense Rolle zugeschrieben wird. Das gilt auch zum Thema Netzwerk. Netzwerker mit hervorragenden Kontakten nach innen und außen verfügen über größere Deutungsmacht und mehr Einfluss, was in flachen Strukturen mehr durchschlagen kann.
Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen: auch agile Organisationen werden wohl über formale Machtstrukturen verfügen auch wenn diese in ihrer Bedeutung abnehmen. Aber die informellen Machtquellen gewinnen an Bedeutung. Es gibt also eine Verschiebung von formaler Macht zu informaler Macht, mit allen Licht- und Schattenseiten.
Wir werden in den nächsten Jahren hierzu sicherlich viel dazu lernen. Die Wirkungsmechanismen von Macht zu verstehen ist für jede Organisationen wichtig, aber insbesondere für Unternehmen, die in der Transformation hin zu agilen Strukturen stecken, von erfolgskritischer Bedeutung.
Klar ist heute schon, dass in agilen Strukturen der Gemeinschaftswillen groß sein muss und dass manche ihren Willen zur eigenen Macht zügeln müssen. Auch in der neuen Arbeitswelt sind diejenigen erfolgreich, die etwas können, die es mit anderen können und die jemanden kennen, also ein großes Netzwerk haben. Dabei gewinnen die 2 letztgenannten deutlich hinzu.
Die emotionale Intelligenz gewinnt – auch an Macht!
Macht „to-be-Listen“, nicht „to-do-Listen“ – auf die Haltung kommt es an!
Hire for attitude, train for skills ist ja ein alter Hut aber aktueller denn je….Viele der heutigen Führungskräfte gehen mit einer über viele Jahre antrainierten und heute schädliche Haltung ans Werk ohne sich dessen bewusst zu sein. Selbst die Vorstände mit denen ich arbeitete, sind so im Hamsterrad und in der Aktion verstrickt, dass sie immer Gefahr laufen, reaktiv oder aktivistisch zu sein und wenig steuernd auf der Kommandobrücke. Ein Zustand, den alle beklagen und an dem wir immer arbeiten: Raus aus den Reiz-Reaktionsmustern der Vergangenheit, raus aus dem Maschinenraum und rein in die Kommandobrücke.
Eine meiner Beobachtungen dabei ist, dass eine neue Haltung bei Leadern erforderlich ist für die heutigen Fragestellungen und dass es weniger an harten Kenntnissen oder Know-how liegt, sondern am inneren Zustand und angelernten Mustern, um als (Top-)Führungskraft heute erfolgreich zu sein. Das wird bei gestandenen Führungskräften dadurch erschwert, dass sie unter ganz anderen Führungsprämissen sozialisiert wurden. Erfolgreich war, wer sich durchsetzt, wer andere von seiner Sicht überzeugt – das steckt in jeder Pore.
Kein Wunder! Vor 30 Jahren war der größte Teil der Führungskräfte der Meinung, dass sie deswegen Chef sind, weil sie es am besten wissen. Bei nicht nur wenigen ist das heute noch der Fall. Das Expertentum war lange die weitverbreitete Haltung bei Führungskräften. Ideen und Wissen wurde zurückgehalten und geschützt und galten als machtsichernd und autoritätsgebend. In Teammeetings und bilateralen Gesprächen geht es im Expertenstil darum, andere von der eigenen Meinung und Expertise zu überzeugen. Zuhören, um den Ansatzpunkt zu finden mit der eigenen Überzeugung zu punkten war und ist bei vielen heute immer noch sehr ausgeprägt.
Dann kam die Einsicht, dass das Knowhow der Mitarbeiter stärker gehoben werden könnte und Zielvereinbarungen,flankiert von predict und control, zogen überall ein.
Bis heute verstehen sich die meisten Führungskräfte in der Rolle zu entscheiden. Zunächst zu entscheiden, was das gewünschte Output sein muss und dann über Zielvereinbarungen im Unternehmen zu kaskadieren. Und dann über die Leistung einzelner zu entscheiden, das sich oft in individuellen Boni niederschlägt. Führungskräfte führen überwiegend über Einzeltermine mit den direkt reports, in denen einzelne Sachverhalte und Probleme besprochen werden und bilateral dafür Lösungen gesucht werden.
Beide Führungsformen, das Expertentum und das Führen über das Setzen von Zielen, sind heute noch die dominianten Formen und kommen oft in Mischformen daher. Die dahinter liegende Haltung ist es, zu wissen, welche Ziele die richtigen sind, diese zu setzen und dann zu kontrollieren und die Mitarbeiter dazu zu motivieren. Hier sind Führungskräfte die Hauptdarsteller. Der CEO bestimmt den Börsenkurs!
Daneben bildet sich -gepusht durch die Dynamik der Digitalisierung- eine neue Form aus, die bisher bei uns nur einzelne Pioniere voll verinnerlicht haben.
Die Forschung nennt das: Catalyst Leadership oder auch Leadership Agility. Der Treiber dieser neuen Form von Führung ist die Erkenntnis, dass in der dynamischen und komplexen Arbeitswelt von Heute und Morgen die bisherigen Herangehensweisen meist zu unterkomplexen und unbefriedigenden und wenig nachhaltigen Lösungen führen. Eric Schmidt , der ehemaligen CEO von Google sagte schon vor einigen Jahren, dass er nicht weiß, was das neue große Ding im Markt sein würde, aber, dass Google alles dafür täte, diejenige Firma zu sein, die es entwickelt und auf den Markt bringt. Die Führungsinstrumente targetsetting, predict und control stoßen an ihre Grenzen.
Schaut man tiefer in die Unternehmen, die heute schon sehr weit sind mit agilen Organisationen und einer neuen Art der Führung, dann findet man viele Parallelen, völlig unabhängig ob es digitale oder analoge Businessmodelle sind. Viele dieser Parallelen fangen mit „co-„ an, wie Co-operation und Co-creation aber auch wirkliches Empowerment und dezentrale Entscheidungsfindungen und Feedbackorientierung zeichnen diese neueren Ansätze aus. Sie sind in sehr erfolgreichen Organisationen, wie Netflix oder aber auch Buurtzorg, einem der erfolgreichsten heutigen Pflegedienstanbieter bereits zu finden und viele Unternehmen sind am Adaptieren, Ausprobieren und in Bewegung in diese Richtung.
Meiner Wahrnehmung nach sind die allermeisten Führungskräfte und auch die Topexecutives sehr lernbereit und auch mit erheblichem Druck zur Weiterentwicklung konfrontiert. Viele der Maßnahmen scheitern aber, da sie nur äußere Parimeter von Entwicklung adressieren.
Für erfolgreiche Entwicklung braucht es nicht nur die outside-in Dimension, in der Skills entwickelt werden, die Führungskräfte in die Lage versetzt, in komplexen und schnell verändernden Umfeldern erfolgreich zu sein, d.h. adaptiv auf äußere Veränderungen zu reagieren.
Der mindestens ebenso wichtige Faktor ist die inside-out Dimension, in der emotionale und mentale Fähigkeiten entwickelt werden und die eigene Haltung, um die neuen Anforderungen erfolgreich handeln zu können
Viele meine Kunden berichten von Terminen, die sie schon genervt betreten, weil sie eigentlich Wichtigeres zu tun haben oder weil die Meinung der anderen ihnen gegen den Strich geht. Oft sind sie auch im Kopf ganz woanders. Mit so einer Haltung kann aus der investierten Zeit nichts Großartiges entstehen. Ein großer Gamechanger ist, wenn man in Meetings mit folgender Haltung geht: „Ich honoriere die Zeit, die wir gemeinsam aufwenden und gehe interessiert rein. Ich will niemanden von meiner Position überzeugen. Ich höre aufmerksam zu, ich versuche die Standpunkte der anderen gut zu verstehen. Und dann sehen wir, was oder wen wir noch brauchen, um mit unseren unterschiedlichen Sichtweisen eine Lösung zu generieren, die keiner von uns alleine erreicht hätte“
Klingt trivial, braucht aber bei der Getriebenheit der Arbeitstage und der bestehenden Sozialisierung in deutschen Führungsetagen ein bewusstes Innehalten und Ausrichten vor jedem Termin. Dann aber setzt diese Haltung unglaubliche Kräfte frei und generiert tolle Lösungen. Das berichten auch meine Kunden.
Mein Appell ist daher: Macht to-be-Listen und nicht to-do-Listen. Der Erfolg liegt in der inneren Haltung!
Voll im Plan oder voll verrannt?
Haben Sie schon mal was vom Plan Continuation Bias gehört? Er gehört zur Liste der bekannten Wahrnehmungsverzerrungen, die wir kennen und kann dann auftreten, wenn wir unter Druck einem Plan folgen. Wie bei allen Bias, d.h. Verzerrungen des Wahrnehmens, Denkens und Urteilens läuft das meist unbewusst und wenig erkennbar für uns ab. Ich nehme diesen Bias bei meinen Kunden als „get-there-itis“ wahr und vor allem dann, wenn das Ziel schon ganz nah ist. Dann wird gerne plötzlich alles ausgeblendet, was störend ist, das Ziel zu erreichen. Leider manchmal auch ganz Wichtiges. Meine Kunden sagen dann, jemand habe sich verrannt.
Verrennen kann man sich in jedem Plan, vor allem wenn Druck auf dem Kessel ist. Ein Bereich, an dem Druck und Ausnahmesituationen zum Normalen gehören, ebenso wie klare Ablaufpläne sind Notaufnahmen. Ein leider bestürzendes Beispiel für den Plan Continuation Bias ist ein Fall, der sich tatsächlich ereignet hat. Klassische Situation für eine Notaufnahme: Patient mit Atemstillstand. Wie in solchen Situationen vorgesehen, hat das Ärzteteam sofort begonnen, ein Intubieren zur Beatmung über einen Beatmungsschlauch durchzuführen. Dabei gab es massive Probleme und das Team hat mehrmals den Schlauch gewechselt, da er nicht durch die Luftröhre ging. Nach einigen Minuten hat eine Schwester angemerkt, dass ein Luftröhrenschnitt vielleicht eher der richtige Weg sei, wurde aber von den Ärzten nicht gehört oder nicht beachtet. Nach 21 Minuten wurde der Patient für tot erklärt. Bei der Aufarbeitung was vorgefallen ist, konnte sich keiner der Akteure erklären, wie es dazu kommen konnte. Sie waren im Tunnel und haben stur ihren ursprünglichen Plan verfolgt. In Notaufnahmen sind heute daher meist in den Abläufen Kontrollpunkte verankert, um herauszutreten und den Plan Continuation Bias zu vermeiden.
Eines der wohl bekanntesten und auch dramatischen Beispiele für einen Plan Continuation Bias führte zur ersten Ölpest im Jahr 1976. Bei der Havarie des Öltankers ‚Torrey Canyon‘ vor der englischen Küste flossen etwa 120.000 Tonnen Rohöl ins Meer. Die Havarie ging als erste große Ölpest in die Geschichte ein und hatte zur Folge, dass die maritimen Notfallpläne und Ablaufpläne weltweit überarbeitet wurden. Die Frage, die sich damals jeder stellte war: „Wie konnte es passieren, dass ein äußerst erfahrener Tankerkapitän mit erfahrener Crew ein Unglück dieses Ausmaßes verursacht?“
Bei der Aufarbeitung des Unglücks kamen verrückte Dinge ans Licht, die sich der Kapitän und sonst auch niemand erklären konnte. Der Kapitän landete nach dem Unglück in der Psychiatrie. Durch die intensive Aufarbeitung wissen wir heute: Die Mannschaft war unter Zeitdruck, da sie viele Stunden hinter Plan lag. Deswegen entschied der Kapitän eine andere Route zu nehmen und statt um die Inselgruppe vor Englang mitten durch sie hindurch zu navigieren. Von den beiden dort gegebenen Schiffstraßen wählte er noch zur Verwunderung aller die engere aber kürzere- wahrscheinlich auf seine Erfahrung und die der Crew vertrauend. Der 1. Offizier hatte große Zweifel, die ungehört blieben und hat als der Kapitän schlief, den Kurs eigenmächtig geändert. Der Kapitän jedoch hat unter großer Wut den Kurs nach seinem Aufwachen sogleich korrigieren lassen. Darauf hin nahm das Unglück seinen Lauf. Eine Schlechtwetterfront zog auf und die Mannschaft zog ohne Not aber mit vollem Fokus den gefassten Plan trotz aller Widrigkeiten durch. Keiner widersprach mehr, alle arbeiteten höchst konzentriert daran, das Schiff auf Kurs zu halten und mit hoher Geschwindigkeit voranzukommen. Obwohl es viele Gelegenheiten gab, den Kurs zu korrigieren und die Geschwindigkeit wenigstens zu drosseln, hat der Kapitän und die Crew keine dieser Gelegenheiten genutzt. Letztlich lief der Tanker auf ein Riff auf und zerbrach dann in der Mitte und das Öl lief aus. In einem späteren bewegenden Interview in der Psychiatrie war der Kapitän immer noch fassungslos, warum er im Verlauf den Plan nicht geändert oder zumindest angepasst hat.
Bis heute wird dieses Vorgehen als bekanntestes Beispiel genannt, was unser Unterbewusstsein unter Druck mit uns anstellen kann. Plan Continuation Bias bedeutet, am Plan festzuhalten, selbst wenn eine veränderte Situation eigentlich eine Planänderung erfordert. Wir können uns alle in eine Vorgehensweise und einen Plan unbewusst verrennen, selbst als 57 jähriger erfahrener Kapitän mit einem beindruckend positiven track record.
Auch wenn sie keine so drastischen Beispiele erleben, haben meine Kunden alle schon die Erfahrung gemacht, dass man sich leicht im Plan oder dem Blick aufs Ziel verrennen kann.
Wie also schaffen wir es bei veränderten Rahmenbedingungen nicht in die „get-there-itis“ zu verfallen und das Ziel im Auge, den Plan unreflektiert durchzuziehen?
Wer noch mehr dazu hören möchte: Im von mir sehr geschätzten Podcast „Cautionary Tales“ gibt es zwei Episoden, die vom Plan Continuation Bias handeln. In „Rocks ahead“ und „Beverly Hills Supper Club“ kommt plastisch zum Ausdruck, dass wir ungern unsere Richtung wechseln, sind wir erst einmal losgelaufen.
„Get-there-itis“ befällt uns alle mal. Jeder kennt gelegentlich, auf das Ankommen am Ziel fixiert zu sein. Daran ist nichts falsch – außer wir sind so fixiert, dass wir nicht mehr erkennen, dass das Ziel ein anderes sein sollte oder der Weg dorthin angepasst werden sollte. Dabei ist da viel vermeidbar, wie die Luft- und Raumfahrtindustrie erfolgreich beweist. In diesen Managementbereichen mit per se hohem Druck, werden im Projektdesign und in Prozesse und Abläufe besondere Zeiten eingeplant, in denen alle Kritik zum Vorgehen geäußert werden soll. Kritische und andersdenkende Stimmen sollen in diesen bewussten Phasen zu Wort kommen, um sich dann noch Verarbeitung wieder voll der Realisierung des Projektes zu verschreiben. Im Crew Resource Management für Piloten werden sehr erfolgreich so viel wie mögliche kritische Stimmen zum Stand und Plan eingeholt, um den Plan Continuation Bias in Drucksituationen zu vermeiden. Das kann in allen Teamset-ups genutzt werden.
Planen Sie regelmäßig als feste Bausteine Kritik-Sessions in alle Abläufe, Projekte und Pläne mit ein, in denen dann bewusst und aufmerksam und vor allem gewollt Kritik, kritische Stimmen und andere Meinungen gehört und verarbeitet werden. Je öfter, das geschieht, desto besser werden alle Beteiligte im Umgang mit Kritik und desto geringer ist es, dem Plan Continuation Bias in der nächsten Drucksituation zum Opfer zu fallen. Auf für Individuelle Projekte kann es hilfreich sein, gezielt nach anderen Meinungen und Kritik zu fragen und dafür gezielt Blöcke einzubauen. So kann das Risiko eines Tunnelblicks und einer unbewussten Wahrnehmensverzerrung reduziert werden. Es lohnt sich.
Viel Erfolg dabei!